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Article #836545Re: Weizenbaum zu KI
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Date: Fri, 04 Jul 2025 09:27
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Salve allerseits, Michael Pachta schrieb: > Am 04.07.2025 um 01:35 schrieb Martin Ebert: > >> Der Spiegel befasst sich mit Aussagen von Joseph Weizenbaum >> zu KI: <https://www.spiegel.de/geschichte/kuenstliche-intelligenz-warum-eliza-erfinder-joseph-weizenbaum-vor-chatbots-warnte-a-4c7a4515-0b54-4b3d-8a6a-f6cac49e2b23> > > Steckt hinter einer Paywall. > +--- <hier abknabbern> --- | Es war ein ungewöhnlicher Dialog, der im Januar 1966 in der Zeitschrift | der US-amerikanischen Association for Computing Machinery erschien – | zumindest für ein Informatikfachblatt: | | »Männer sind alle gleich.« | »Inwiefern?« | »Sie nerven uns immer mit diesem und jenem.« | »Denken Sie an ein bestimmtes Beispiel?« | »Nun, mein Freund hat mich dazu gedrängt, hierherzukommen.« | »Ihr Freund hat Sie gedrängt, hierherzukommen?« | »Er sagt, ich sei oft niedergeschlagen.« | »Es tut mir leid zu hören, dass Sie oft niedergeschlagen sind.« | »Das stimmt, ich bin unglücklich.« | »Glauben Sie, dass es Ihnen helfen wird, nicht mehr unglücklich zu sein, | wenn Sie hierherkommen?« | »Ich brauche Hilfe, das steht fest.« | | Was wie ein Therapiegespräch wirkt, ist die Mitschrift eines der ersten | Dialoge zwischen Mensch und Computer (dessen Passagen oben kursiv | dargestellt sind). Der Deutschamerikaner Joseph Weizenbaum hatte das | Programm Eliza entwickelt, das Kommunikation mit einem Rechner in | natürlicher Sprache ermöglichte – der erste Chatbot der Geschichte. | | 1966 war das noch eine Spielerei. Inzwischen gehört das Gespräch mit | Computern zu unserem Alltag; Chatbots begegnen uns an Hotlines, im | Handy-Betriebsprogramm, im Auto oder als Ersatz für herkömmliche | Suchmaschinen. Manche Technikenthusiasten freuen sich auf eine Welt, in | der uns die künstliche Intelligenz (KI) alle möglichen | Routinetätigkeiten abnimmt, angefangen bei der Essensplanung für die | Familie über das Recherchieren von Urlaubsunterkünften, | Small-Talk-Themen für die Party bis hin zum Beantworten lästiger | E-Mails. Der Chatbot als Assistent für alle Lebenslagen, 24 Stunden | bereit, niemals müde. | | Eliza-Schöpfer Weizenbaum aber blieb bis zum Ende seines Lebens | skeptisch gegenüber solchen Visionen. Warum misstraute er dieser uralten | Utopie, obwohl sein Programm Eliza als Meilenstein auf dem Weg zur | künstlichen Intelligenz gilt? | | *Des Menschen Ebenbild* | | Seit der Antike träumen Menschen davon, eine Maschine zu entwickeln, die | ihnen gleicht; die so denkt, spricht und handelt wie sie. Die Literatur | ist voller Geschichten über solche sogenannten Androiden. So kreierte | die altgriechische Sagengestalt Pygmalion, König von Zypern, eine | Jungfrau aus Elfenbein und verliebte sich prompt in sie. Die Göttin | Aphrodite erweckte die Schöne zum Leben – und die verguckte sich | wiederum sofort in ihren Schöpfer. | | In der mittelalterlich-jüdischen Legende vom Golem formen Menschen aus | Erde eine ihnen ähnliche Gestalt mit Superkräften. Und in Mary Shelleys | berühmtem Roman aus dem 19. Jahrhundert bastelt sich Professor | Frankenstein ein menschenähnliches Monster. | | Auch in der Realität haben Menschen immer wieder versucht, maschinelle | Ebenbilder zu bauen. Berühmt wurde der 1738 konstruierte Flötenspieler | des Franzosen Jacques de Vaucanson, der zwölf Musikstücke spielen | konnte. Zahnräder und Getriebe bewegten Arme und Lippen. Gespeichert | waren Musik und Bewegung auf einer Stiftwalze, wie man sie von | Spieldosen kennt. | | Noch mehr beeindruckte das Publikum einige Jahre später der Schreiber | der Schweizer Uhrmacherfamilie Jaquet-Droz. Er brachte frei wählbare | Sätze mit Tinte und Feder zu Papier, folgte dem Text dabei mit den Augen | und strich sogar überschüssige Farbe am Tintenfass ab. Im Automaten | drehte sich ein Zylinder, auf den drei Nockenscheiben gesteckt wurden. | Sie leiteten die Hand des Schreibers in drei Dimensionen: auf und ab, | vor und zurück, rechts und links. | | Weizenbaum allerdings hatte niemals vorgehabt, einen künstlichen | Menschen zu erschaffen. Eliza war eher ein Nebenprodukt seiner | eigentlichen Arbeit, allerdings jenes, das ihn berühmt machte. | | *Gelehrige Blumenverkäuferin* | | 1923 in Berlin geboren und 1936 mit seiner jüdischen Familie in die USA | geflohen, war der Mathematiker 1963 an die berühmte US-amerikanische | Technikuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) gekommen. | Dort entwickelte er zunächst ein System, mit dem Entwickler ihre | Software im Dialog mit den Maschinen programmieren konnten. So war es | ihnen möglich, ein Programm stückweise auszuprobieren, die Reaktion des | Rechners darauf abzuwarten und dann eventuelle Fehler zu korrigieren | oder mit dem nächsten Code-Häppchen fortzufahren. | | Nach dem Erfolg wollte Weizenbaum einen Schritt weiter gehen. Er fragte | sich: Wäre es möglich, mit dem Computer nicht nur in einer | Programmiersprache, sondern auch in einer menschlichen Sprache wie | Englisch oder Deutsch zu kommunizieren? | | So entwickelte er den Chatbot Eliza. Benannt war das Programm nach der | Blumenverkäuferin Eliza Doolittle aus George Bernard Shaws Schauspiel | »Pygmalion«. Sie legt im Stück ihren volkstümlichen englischen | Cockney-Akzent ab und lernt die Sprache der High Society. | | *Ein missverstandener Scherz* | | Der MIT-Forscher simulierte mit der Software ein Psychotherapie-Gespräch | nach dem Verfahren des US-Psychologen Carl Rogers. Dabei wiederholt der | Therapeut als Frage, was der Klient zuvor gesagt hat, um weitere | Denkprozesse anzustoßen. Eliza übernahm die Rolle der Psychiaterin – und | das offenbar sehr überzeugend. | | Der Schöpfer hatte Eliza als Parodie verstanden. Sie sollte | demonstrieren, wie Computer Informationen verarbeiten. Doch der Scherz | kam bei vielen Menschen nicht an. Statt sich über die Plauderei im | Therapiestil zu amüsieren, nahmen viele Nutzer das Gespräch ernst. | Manche vertrauten Eliza sogar intime Geheimnisse an, obwohl sie leicht | als Programm zu entlarven war und auch Fehler machte. Dieses Phänomen | wurde als Eliza-Effekt bekannt: Menschen unterstellen einer Maschine | menschliche Eigenschaften, weil sie sich menschenähnlich verhält. | | Dem Eliza-Effekt erlagen nicht nur Laien, sondern auch Fachleute. | Weizenbaum schilderte später, wie er seine Sekretärin in einem Gespräch | mit dem Rechner überraschte: »Es war, als störte ich eine Art | Zweisamkeit.« Weizenbaum fand das absurd, denn die Sekretärin hatte die | Entstehung dieses Programms aus allernächster Nähe miterlebt. Sie musste | wissen, dass es sich um ein bloßes Computerprogramm handelte. | | *Ersatz für menschliche Fachkräfte*? | | Fassungslos machte Weizenbaum die Begeisterung mancher Psychotherapeuten | für Eliza. Der Stanford-Wissenschaftler Mark Colby begrüßte die Technik | als Ersatz für menschliche Fachkräfte in Nervenkliniken. Nach weiterer | Entwicklung könnte ein Computer mehrere Hundert Patienten pro Stunde | behandeln, stellte er in Aussicht. | | Weizenbaum kritisierte solche Ideen: Welche Vorstellung müsse ein | Psychiater von seiner eigenen Arbeit haben, »wenn in seinen Augen die | einfachste mechanische Parodie einer einzelnen Interviewtechnik das | ganze Wesen einer menschlichen Begegnung erfasst hat?« | | Durch Eliza kam Weizenbaum mit KI-Forschern am MIT in Kontakt. Sie waren | überzeugt, Maschinen könnten jede Art menschlichen Denkens simulieren | und würden Menschen zukünftig in vielen Bereichen übertreffen. | Weizenbaum bezweifelte das. Er argumentierte, ein Computer könne keinen | Menschen vollständig verstehen, da Sprache nicht nur aus Vokabeln und | Grammatik bestehe, sondern jedes Wort bei jedem Menschen | unterschiedliche Assoziationen wecke. | | *Gefahren von Mensch und Maschine* | | Eliza machte den Informatiker Weizenbaum vom Vordenker zum Mahner. In | seinem 1976 erschienenen Buch »Die Macht der Computer und die Ohnmacht | der Vernunft« wandte er sich gegen die Gleichsetzung von Maschinen mit | dem menschlichen Geist. Seine Kernbotschaften waren simpel: Ein Rechner | ist kein Mensch, ein Mensch ist keine Maschine. Und Computer sollten | nicht alles tun dürfen, selbst wenn sie es könnten. | | Weizenbaum warnte Laien davor, die Fähigkeiten der Hardware zu | überschätzen. Alles, was sie könne, sei rechnen; sie sei aber nicht in | der Lage, wie ein Mensch zu entscheiden. Es sei gefährlich, Maschinen | Aufgaben zu übertragen, denen sie nicht gewachsen seien, wie | Erstgespräche mit Psychiatriepatienten. | | Seine KI-Kollegen ermahnte Weizenbaum, die Folgen ihrer Forschung zu | bedenken. Entwicklungen wie automatische Bilderkennung nützten vor allem | dem Militär, so der Informatiker. Er wusste, wovon er sprach – seine | Projekte am MIT waren vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium | finanziert worden. | | Mit seinen Thesen traf Weizenbaum schon damals einen Nerv. Viele | Menschen fürchteten den Datenhunger des Staats, die Ausbreitung der | Computertechnik, damals EDV (elektronische Datenverarbeitung) genannt, | und die Aufrüstung im Kalten Krieg. Seine KI-Kollegen hingegen | reagierten oft ablehnend auf die Mahnungen von der Seitenlinie. John | McCarthy, Gründer des KI-Programms am MIT, nannte Weizenbaums | Ausführungen »moralistisch und inkohärent«. | | Auch außerhalb der Fachwelt gab es Gegenstimmen. Der polnische | Science-Ficition-Autor und Philosoph Stanislaw Lem argumentierte, die | politischen Gefahren lägen nicht in der Technik, sondern in globalen | Machtstrukturen. Moralische Appelle an KI-Wissenschaftler lenkten | deshalb vom Wesentlichen ab: dass es am Ende immer noch darauf ankommt, | wer eine Technik wozu nutzt. | | *Elizas Nachfahren* | | Als Weizenbaum 2008 in Berlin starb, war der heutige KI-Boom noch nicht | absehbar. Viele seiner Befürchtungen sind wahr geworden: Fast jeder hat | heute schon mit Computern interagiert, manchmal merkt man es nicht | einmal mehr. | | Die neue Generation der Chatbots wie ChatGPT oder Claude wird mit | riesigen Mengen von Texten aus dem Internet und aus Büchern trainiert. | Sie lernen, Muster in der Sprache zu erkennen und Wahrscheinlichkeiten | für Wortfolgen zu berechnen. Daraus erzeugen sie Texte, die für | menschliche Leser sinnvoll wirken. | | Dabei können Chatbots auch kreativ werden, indem sie etwa eine | Gutenachtgeschichte über einen sprechenden Hund erfinden. Auch können | sie zwischen verschiedenen Gesprächsthemen wechseln und sich an frühere | Teile des Gesprächs erinnern. Eliza konnte das alles nicht. Sie war wie | ein einfaches Frage-Antwort-Spiel. | | *Kein Grund zur Furcht* | | Sind Weizenbaums Warnungen überholt? Im Gegenteil. Selbst in der | gegenwärtigen Euphorie um ChatGPT und andere KI-Programme bleiben | mahnende Stimmen hörbar. Manche, wie die Linguistin Emily Bender, warnen | vor konkreten Risiken: Die Modelle hinter den Chatbots könnten | rassistische oder sexistische Ansichten reproduzieren, da sie mit | entsprechenden Internettexten trainiert wurden. | | Andere beschwören die Gefahr einer Superintelligenz herauf, die sich | verselbstständigt, dann eines Tages außer Kontrolle geraten und die | Menschheit vernichten könnte. Kurioserweise warnte davor vergangenes | Jahr selbst Sam Altman, Mitgründer des ChatGPT-Anbieters. Kritiker sehen | darin ein taktisches Manöver: Die KI-Industrie lenke von gegenwärtigen | Problemen ab, indem sie auf ferne Zukunftsrisiken hinweise. | | Trotz aller Kritik an zu viel Technikoptimismus: Joseph Weizenbaum hielt | auch nichts von ängstlichen Endzeit-Visionen. Dem deutschen | Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sagte er Ende der Neunzigerjahre: | »Müssen wir uns fürchten, dass derartige Roboter tatsächlich eines Tages | existieren und wir in der Folge zu ihren Haustieren werden? Dazu sage | ich: Nein, das müssen wir nicht.« | | Und selbst wenn es eine Mensch-Maschine gäbe, würde sie »doch niemals | ein Mensch sein. +--- </hier abknabbern> --- M.f.G. -- Diese E-Mail-Adresse wird nur aus nostalgischen Gründen verwendet. Sie wird praktisch nie gelesen. Das MausNet ist nicht tot – es riecht nur etwas komisch... ;-)
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